Antrag: „Kinder an die Macht“ – Partizipation von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen systematisch weiterentwickeln und stärken

 

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Kinder und Jugendliche machen mit 1,33 Millionen etwa 17% der niedersächsischen Bevölkerung aus. Zahlreiche Entscheidungen, die im Landtag oder den kommunalen Parlamenten getroffen werden, haben unmittelbaren Einfluss auf das Leben von Kindern und Jugendlichen, so etwas bei der Raumplanung z. B. von Wohngebieten, in der Bildungspolitik, bei sozialpolitischen Fragen oder auch bei der Förderung von Freizeit- und Sportangeboten. Bei der Entscheidungsfindung findet die Perspektive von Kindern und Jugendlichen jedoch nur selten Berücksichtigung. Die Lebenswelt von Kindern wird somit vorrangig durch die Perspektive von Erwachsenen geprägt.

Der Landtag stellt fest:

  • Die Förderung des Rechts auf Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist ein Gebot der UN-Kinderrechtskonvention und sollte auch in der Niedersächsischen Verfassung festgeschrieben werden.
  • Frühe Mitbestimmung und altersgerechte Beteiligung sind von herausragender Bedeutung für die Entwicklung demokratischer Kompetenzen.
  • Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ermöglicht Abwägungs- und Entscheidungsprozesse, die das Wohl und die Interessen von Kindern besser berücksichtigen.

Der Landtag begrüßt, dass es mit der Kinder- und Jugendkommission seit 2015 eine institutionalisierte Vertretung von Kinderinteressen im niedersächsischen Landtag gibt.

Um Partizipation und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen systematisch weiterzuentwickeln, auszubauen und dauerhaft zu stärken, ist ein umfassendes Maßnahmenpaket zu schnüren. Insbesondere fordert der Landtag die Landesregierung auf:

  1. Das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Beteiligung in der Niedersächsischen Verfassung festzuschreiben,
  2. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass das Recht auf Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auch in das Grundgesetz aufgenommen wird,
  3. in §36 des Niedersächsische Kommunalverfassungsgesetzes eine verpflichtende Beteiligung mindestens bei allen Vorhaben zu regeln, die die Interessen von Kindern und Jugendlichen berühren, und einen transparenten Umgang mit den Ergebnissen sicherzustellen,
  4. die Altersgrenze für das aktive Wahlrecht bei den Wahlen zum Niedersächsischen Landtag und bei den Kommunalwahlen auf 14 Jahre abzusenken,
  5. einen Kinder- und Jugendcheck einzuführen, mit dem die Auswirkungen von Gesetzesvorhaben der Landesregierung auf Kinder und Jugendliche geprüft werden,
  6. eine Stabstelle innerhalb der Landesregierung einzurichten, die vorrangig für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Entscheidungsprozessen verantwortlich ist,
  7. eine Servicestelle für Kinder- und Jugendbeteiligung zu schaffen, die Kinder und Jugendliche, Kommunen und Akteur*innen der Kinder- und Jugendhilfe bei der Umsetzung von Beteiligung berät, vernetzt und qualifiziert,
  8. Modellprojekte für aufsuchende Beteiligungsformate, insbesondere auch für schwer erreichbare Zielgruppen, zu fördern, um allen Kindern und Jugendlichen einen niedrigschwelligen Zugang zu Beteiligung zu ermöglichen,
  9. ein Dialogformat für Jugendliche im Niedersächsischen Landtag zu schaffen (Jugendlandtag),
  10. die Kinder- und Jugendkommission zu stärken, indem ihr ein Initiativrecht in den Ausschüssen des Landtages eingeräumt wird und sie regelmäßig die Möglichkeit zur Berichterstattung gegenüber dem Parlament erhält;
  11. zu prüfen, wie Kinder und Jugendliche als Mitglieder in der Kinder- und Jugendkommission mitwirken können,
  12. unter Beteiligung des Landesjugendhilfeausschusses und der Kinder- und Jugendkommission ein regelmäßiges Monitoring zur Lage von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen aufzulegen,
  13. Angebote zur politischen Bildung auszubauen und die Landeszentrale für politische Bildung angemessen auszustatten.

Begründung

Im Laufe der Corona-Pandemie sind Angebote für Kinder und Jugendliche immer wieder zeitweise eingeschränkt oder sogar geschlossen worden. Insbesondere zu Beginn der Pandemie sind Kinder und Jugendliche dadurch nahezu vollständig aus dem öffentlichen Raum verschwunden. Kinder und Jugendliche, und damit auch ihre Interessen, waren nicht mehr sichtbar. Kita, Schulen und Einrichtungen der Jugendhilfe sind insbesondere während des erste Lockdowns als Erstes geschlossen und teilweise auch erst nach Einzelhandel und verschiedenen Dienstleistungen wieder geöffnet worden – trotz umfangreicher Hygienekonzepte. Auf der Webseite der Landesregierung gab es monatelang keine einzige Information für Kinder und Jugendliche.

Die fehlende Sichtbarkeit von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie spiegelt sich somit in den Beschlüssen und im Handeln von Bundes- und Landesregierung wieder. Ihre altersspezifischen Bedarfe und Entwicklungsanforderungen, ihr Recht auf soziale Teilhabe, auf Förderung und Schutz finden in der politischen Debatte kaum statt.

Aber auch abseits der aktuellen Krisensituation ist die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen nicht systematisch gewährleistet. Obwohl das Recht auf Partizipation eines der Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention ist und im täglichen Handeln aller staatlichen Institutionen Berücksichtigung finden sollte, werden Entscheidungen noch immer hauptsächlich aus der Perspektive Erwachsener getroffen. Selbst bei Verwaltungsverfahren, die sich unmittelbar auf das Leben von Kindern und Jugendlichen auswirken, gibt es keine systematische Beteiligung. Auch einer Studie des Deutschen Kinderhilfswerks zufolge hat Niedersachsen insbesondere bei der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen Nachholbedarf.[1]

Um insbesondere den Vorgaben des UN-KRK gerecht zu werden und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sicherzustellen, sind daher zahlreiche Maßnahmen erforderlich.

Das Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz sieht in § 36 eine Soll-Bestimmung zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an Planungen und Verfahren vor, die ihre Interessen berühren. Um eine Beteiligung regelhaft sicherzustellen, ist diese Soll-Bestimmung in eine Verpflichtung für Gemeinden und Samtgemeinden umzuändern. Darüber hinaus ist ein transparenter Umgang mit den Ergebnissen von Beteiligungsprozessen sicherzustellen.

Die unmittelbare Beteiligung junger Menschen an den gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsprozessen ist ein wesentlicher Bestandteil der Demokratieerziehung. Mit steigendem Alter und wachsender persönlicher Reife muss der Grad der Beteiligung der Jugendlichen spürbar steigen, um demokratische Prozesse für sie erlebbar zu machen. Eine Absenkung des Wahlalters auf 14 Jahre ermöglicht Jugendlichen Mitbestimmung bei Entscheidungen, von denen sie langfristig betroffen sind.

Der Jugendcheck soll als Instrument der Gesetzesfolgenabschätzung künftig mit einem standardisierten Verfahren untersuchen, welche Auswirkungen Gesetzentwürfe der Landesregierung auf Kinder und Jugendliche haben. Die Auswirkungen sind in der Gesetzesbegründung darzulegen.

Aufgabe der niedersächsischen Kinder- und Jugendkommission ist es, sich für die Interessen von Kindern und Jugendlichen einzusetzen und ihre Rechte zu stärken. Sie setzt sich laut §16d AG SGB VIII zusammen aus je einem Mitglied jeder Landtagsfraktion und einem Mitglied des Landesjugendhilfeausschusses. Weitere Mitglieder werden auf Vorschlag des Landesjugendhilfeausschusses berufen. Zu prüfen ist deshalb, welche Voraussetzungen zu schaffen sind, damit auch Kinder und Jugendliche selbst in der Kinder- und Jugendkommission mitwirken können.

[1]https://www.dkhw.de/fileadmin/Redaktion/1_Unsere_Arbeit/1_Schwerpunkte/2_Kinderrechte/2.25_Kinderrechte-Index_alle-Dokumente/Laendersteckbriefe/laendersteckbrief_niedersachsen.pdf

 

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