Volker Bajus: Rede zum Antrag "Kinder brauchen Kinder: Kontaktregeln wirksam und familientauglich gestalten..." (TOP 29)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

das Bundesverfassungsgericht hat heute in Sachen Klimaschutz die Rechte kommender Generation gestärkt. Endlich mal eine gute Nachricht für die Kinderrechte, die ansonsten in der aktuellen Corona-Krisenpolitik ziemlich unter die Räder kommen.

Keine Bevölkerungsgruppe zahlt einen derart hohen Preis für die Folgen des Lockdowns, wie es derzeit Kinder und Jugendliche tun. Kontakt-Beschränkungen, Freunde*innen, Fehlanzeige. Schulausfall, Zunahme familiärer Gewalt. Bewegungsmangel, Isolation und Einsamkeit. Es ist Zeit, dass wir uns endlich mehr um die psychische Gesundheit der Kinder und ihre Entwicklung kümmern.

Anrede,

wir wissen doch alle, gerade Kinder brauchen Kinder. Wie kann es also sein, dass in der Corona-Verordnung des Landes bei Inzidenz über 100 die Ein-Freund-Regel für Kinder zur kein Freund-Regel wurde und es erheblicher Interventionen aller Fraktionen bedurfte, um die Altersgrenze erst auf 3 dann auf 6 Jahre zu heben und erst jetzt, dank Bundesregel, mit 14 Jahren eine einigermaßen realitätstaugliche Regelung gilt?

Wie kann es sein, dass über sinnvolle und familienfreundliche „Social Bubbles“, also Infektionsgemeinschaften, auf MPKs zwar geredet, aber dies keinen Niederschlag im Corona-Management des Sozialministeriums gefunden hat?

Wie kann es sein, dass die Angebote der Jugendarbeit, obwohl rechtlich unter Beachtung aller Hygieneregeln möglich, vielerorts eingeschränkt und mancherorts gar nicht mehr stattfinden?

Wie kann es sein, dass es für arme Familien nach 14 Monaten immer noch keine Corona Hilfe gibt?

Und, wie kann es sein, dass die Frage, ob ein Kind die ausgefallene warme Schulmahlzeit bekommt, davon abhängt, ob es in einer reichen, engagierten Kommune lebt oder nicht?

In den Regionen mit hohen Inzidenzen sind ganze Schuljahrgänge und die Hälfte der Kita-Kinder seit Monaten nicht mehr in ihrer Einrichtung gewesen. Auch 14 Monate nach der Pandemie haben wir noch keine sicheren Schulen und Kitas.

Anrede,

Jetzt hat der Bund ein milliardenschweres Nachhilfe-Paket angekündigt. Was soll denn diese Engführung? Kinder und Jugendliche sind doch mehr als Schüler*innen. In Schule und Kita geht es doch auch um das Kinderrecht auf soziale Teilhabe, auf gesellschaftliches Leben, auf eine altersgemäße Entwicklung. Und dazu gehören zwingend die Kontakte zu Gleichaltrigen. Wie geht Pubertät ohne Peergroup?

Die Copy-Studie des UKE in Hamburg diagnostizierte bereits in der zweiten Welle bei 40% der Kinder Bewegungsmangel, bei über 80% erhebliche seelische Belastungen. Und bei einem Drittel werden gar psychische Probleme manifest. Hier muss doch gehandelt werden. Die psychische Verfasstheit unserer Kinder muss Priorität haben.

Vielleicht wäre das alles ja noch irgendwie erträglich, wenn es wenigstens eine optimistische Perspektive gäbe, wie es sie der Impffortschritt ja für alle anderen Altersgruppen bietet. Doch auch hier gucken Kinder noch lange in die Röhre. Zumindest für die unter 12-jährigen wird es vor dem nächsten Frühjahr 2022 keinen Impfstoff geben.

Anrede,

Die hier aufgeworfenen Fragen sind allesamt nicht leicht zu beantworten, einfache Lösungen gibt es nicht. Dass die Regierungsfraktionen im Ausschuss unsere Problemanalyse zwar teilen, aber an Lösungen, an Abwägungen, an neuen kreativen Maßnahmen offensichtlich kein Interesse haben und diesen Antrag, wie alle Vorschläge von uns, einfach wegstimmen, zugleich aber selber nichts vorlegen, kann ich nicht verstehen. So müssen sie sich vorwerfen lassen, dass sie an der Aufgabe, die Interessen von Kindern und Jugendlichen einigermaßen zu berücksichtigen, scheitern.

Ich appelliere dringend an Sie, lassen Sie uns Kinderschutzexpertinnen und Kinderärzte hören, laden wir Jugendverbände und Kinder und Jugendliche. Hören wir wenigstens die Kinder- und Jugendkommission hierzu an.

Unsere Kinder haben mehr verdient, als in Sonntagsreden zu hören “Sie seien unsere Zukunft” und sich dann in den Alltagsmaßnahmen der Corona-Politik nicht mehr wieder zu finden.

 

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