Kleine Anfrage:Spannungsrisskorrosion an Heizrohren des AKW Lingen/Emsland: Warum ordnet die Landesregierung keine weiteren Überprüfungen an?

Anfrage der Abgeordneten Miriam Staudte und Volker Bajus

Anfrage der Abgeordneten Miriam Staudte und Volker Bajus (GRÜNE) an die Landesregierung, eingegangen am 10.05.2021

Im Jahr 2019 wurden bei der Revision des AKW Lingen II bei stichprobenartigen Kontrollen der Dampferzeuger an zwei Heizrohren Risse entdeckt. Die schadhaften Rohre wurden verschlossen.

Auch bei der Revision im Jahr 2020 musste ein schadhaftes Heizrohr verschlossen werden, an einem weiteren Rohr wurde eine fortschreitende Wanddickenschwächung festgestellt (vgl. Antwort auf unsere Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung in der Drucksache 18/6746, Fragen 4 und 5).

Auf der RWE-Hauptversammlung am 28. April äußerte der RWE-Vorstandsvorsitzende Rolf Martin Schmitz, dass bei der diesjährigen Revision im Atomkraftwerk Lingen II keine weitere Überprüfung der Dampferzeuger-Heizrohre vorgesehen sei. Die Ursache der Korrosion sei gefunden, nachweislich beseitigt und durch die Aufsichtsbehörden bestätigt, so die Begründung.

Die Landesregierung führte zur Korrosion an Dampferzeuger-Heizrohren 2019 aus (vgl. Drs. 18/4158):

„Während der Anlagenrevision des Kernkraftwerks Neckarwestheim-2 im Jahr 2017 wurden bei Wirbelstromprüfungen an den Dampferzeugerheizrohren (DE-HR) nahezu punktförmige, volumetrische Anzeigen an insgesamt 32 DE-HR gefunden, die sich alle auf der primärseitigen Austrittsseite des Dampferzeugers (DE) 10 befanden. Diese Anzeigen werden als Wanddickenschwächungen interpretiert, die von der Sekundärseite ausgehen und im Bereich zwischen 15 und 300 mm oberhalb des Rohrbodens liegen. Während der Revision 2018 wurden erweiterte Prüfungen der DE-HR durchgeführt und zusätzlich zu den aus der Revision 2017 bekannten 32 DE-HR weitere 23 DE-HR mit punktförmigen Anzeigen gefunden, die sich auf alle vier DE verteilten und sich hinsichtlich ihrer Lage und Eigenschaften in das aus 2017 bekannte Bild einfügen. Darüber hinaus wurden erstmals linienartige, in Umfangsrichtung orientierte Anzeigen festgestellt, die sich ausschließlich auf der primärseitigen Eintrittsseite in den DE 20 und DE 40 befinden und sich im Gegensatz zu den punktförmigen Anzeigen im Bereich von ca. -2 mm bis + 7 mm bezogen auf die obere Einwalzkante der De-HR und damit nahe der Oberkante des Rohrbodens befinden.

Auf Grundlage dieses Sachverhalts hat der Hersteller der DE als Schadenshypothese für die beiden Anzeigetypen zwei primäre Schadensursachen für die beobachteten Schädigungen abgeleitet: einerseits den großen Eintrag von Eisenoxid in die Dampferzeuger, das sich in Strömungstotzonen auf den Rohrböden ablagern und mit der Zeit harte Ablagerungen bilden konnte, auf denen sich wiederum weitere Korrosionsprodukte, Fremdstoffe und Verunreinigungen in lockerer Form ablagern konnten. Andererseits die Verschlechterung der wasserchemischen Parameter im Sekundärkreislauf durch ionale Verunreinigungen, durch Kleinstleckagen an verschiedenen Kammern des Kondensators, die seit 2013 immer wieder aufgetreten sind und nicht alle identifiziert und beseitigt werden konnten. Die Verunreinigungen konnten sich in den Spalten zwischen den DE-HR aufkonzentrieren, wodurch sich lokal stark saure Bedingungen ausbilden konnten, unter denen auch der für die DE-HR verwendete Werkstoff korrosionsanfällig ist.

Auf Grundlage dieser Erkenntnisse und Untersuchungsergebnissen aus anderen Anlagen werden durch den Hersteller die umfangsorientierten Anzeigen auf interkristalline Spannungsrisskorrosion unter stark sauren Bedingungen in Bereichen mit axialen Zugspannungen an der Rohraußenfläche, wie sie z. B. im Einflussbereich der Einwalzungen der DE-HR im Rohrboden vorliegen, zurückgeführt. Diesen Sachverhalt hat die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) gGmBH hinsichtlich seiner sicherheitstechnischen Bedeutung anhand der ‚Sicherheitsanforderungen an Kernkraftwerke (SiAnF)‘ und der zugehörigen Interpretationen und des nachgeordneten Regelwerks bewertet und wegen der grundsätzlichen Übertragbarkeit auf andere deutsche Druckwasserreaktoren die ‚Weiterleitungsnachricht zu meldepflichtigen Ereignissen in Kernkraftwerken der Bundesrepublik Deutschland (WLN 2018/06) - Anzeigen bei Wirbelstromprüfungen von Dampferzeugerheizrohren im Kernkraftwerk Neckarwestheim-2 (GKN-2) gemeldet am 25.09.2017 und 14.09.2018‘ verfasst. Hierdurch wurde eine verbindliche Übertragbarkeitsprüfung im Rahmen eines einheitlichen, bundesaufsichtlich Verfahrens eingeleitet. (...)

Die Betreiberin des Kernkraftwerks Emsland (KKE) ist diesen Empfehlungen gefolgt, hat eine Nach-bewertung im Sinne der Empfehlung 1 durchgeführt und aufgrund der Empfehlung 2 Wirbelstromprüfungen an den DE-HR der DE 10-40 durchgeführt. Jeweils 40 % der DE-HR sind heißseitig im Bereich des Rohrbodens bis zum ersten Abstandhalter mit dem X-Probe-Sensor geprüft wurden. Die Auswahl der zu prüfenden Rohre umfasste dabei vollständig die sekundärseitig festgestellten Ablagerungsbereiche in den Strömungstotzonen als ‚potenziell betroffenen Bereich‘. Mit dem Bob-bin-Coil-Sensor sind zudem ca. 20 % der Heizrohre über die gesamte Länge geprüft worden.

Die Wirbelstromprüfung am Dampferzeuger JEA 10-BC001 ergab am Heizrohr der Position 39/61 sekundärseitig eine maximale Wanddickenschwächung von 47 % mit einer umlaufenden Ausdehnung von 102° und am Heizrohr der Position 42/62 sekundärseitig eine maximale Wanddickenschwächung von 58 % mit einer umlaufenden Ausdehnung von 25°. Diese Befunde wurden durch den Betreiber als meldepflichtiges Ereignis 02/19 gemäß AtSMV gemeldet, die beiden betroffenen Heizrohre durch einen Füllstopfen stabilisiert und vorsorglich mithilfe von Walzstopfen beidseitig hydraulisch dicht verschlossen.“

1. In Kenntnis der o. g. Schadenshypothese des Herstellers zu den Korrosionsschäden an den Dampferzeuger-Heizrohren (DE-HR) des AKW Neckarwestheim-2 und vor dem Hintergrund der Herstellerangaben zur hohen Korrosionsbeständigkeit des Werkstoffs VDM Alloy 800 gegen Spannungsrisskorrosion, Lochfraß und Spaltkorrosion: Welche physikalisch-chemischen Vorgänge waren ursächlich für die Korrosion an den Dampferzeuger-Heizrohren am AKW Lingen II, wann und von wem wurde dies festgestellt und von welchen Aufsichtsbehörden bestätigt?

2. Welche Maßnahmen wurden wann durchgeführt, um die Ursache der Wanddickenschwächung an den DE-HR des AKW Lingen II zu beseitigen?

3. Wie viele der rund 16 470 Dampferzeugerrohre werden im Zuge der Revision 2021 untersucht (bitte absolute Zahl der untersuchten Rohre nennen und begründen, falls nicht alle Rohre untersucht werden)?

 

Alle Informationen und die Antwort der Landesregierung (sobald verfügbar) gibt es hier.

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