Volker Bajus: Rede "Hochrisikogruppen wirksam vor dem Coronavirus schützen - wohnungslose Menschen in Niedersachsen besser unterstützen und das Prinzip Housing First landesweit umsetzen"

- Es gilt das gesprochene Wort -

Corona, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, verschärft die soziale Lage. So banal, so wahr, so tragisch. Auch wenn es keine genauen Zahlen gibt, schätzen die Expert*innen, dass die Anzahl der wohnungslosen Menschen zuletzt deutlich gestiegen ist. Ablesbar an der Zunahme der Hilfesuchenden bei den Beratungsstellen. Betroffen sind auch immer mehr junge Menschen. Inzwischen ist ein Viertel der Wohnungslosen unter 27 Jahre alt; auch gibt es seit Jahren mehr und mehr wohnungslosen Frauen - aktuell knapp 30%.

Ich bin den engagierten Mitarbeitenden der Hilfeeinrichtungen sehr dankbar für ihren unermüdlichen und wichtigen Einsatz.

Die Landesarmutskonferenz weist immer wieder darauf hin, dass vor dem Corona-Virus nicht alle gleich sind; das betrifft Wohnungslose in besonderem Maße, die dem Virus einerseits schutzlos ausgeliefert sind und gleichzeitig eine besonders vulnerable Gruppe darstellen.

Es wäre deshalb spätestens im letzten Jahr dringend nötig gewesen, diese Gruppe besser zu schützen.

Es ist daher politisch beschämend, dass in einem so reichen Land wie dem unseren, auch im zweiten Corona-Winter die Schutz- und Hilfesysteme nicht ausreichen.

Ich kann jedenfalls moralisch nicht rechtfertigen, dass Menschen im Winter auf der Straße schlafen, weil es unserem Sozialsystem an Ressourcen fehlt, während Hotels Wirtschaftshilfen in Millionenhöhe für leerstehende Zimmer erhalten.

Es ist daher dringend und überfällig, dass wir hier endlich vorankommen.

Anrede,
Wohnungslosigkeit ist die härteste Konsequenz materieller Armut; Deshalb ist auch klar, dass wohnungslose Menschen vor allem eins brauchen: eine Wohnung. Ohne Wohnung kein privater Schutzraum, kein gesicherter Zugang zu Nahrungsmitteln, zu Sanitäranlagen, zu regelmäßiger Gesundheitsversorgung; und ohne Wohnung auch keine Arbeit; mit einer Wohnung lässt sich jedes weitere Problem leichter lösen.

Die vorübergehende Unterbringung in der Jugendherberge in Hannover hat gezeigt, wie so ein Vorgehen, „erstmal Wohnung besorgen und dann sehen wir weiter“, also das Prinzip „Housing first“ auch kurzfristig gelingen kann.

„Housing first“ - damit schaffen wir einen Paradigmenwechsel in der Wohnungslosenhilfe; während die meisten Angebote (Notunterkünfte, Tagesaufenthalte, Essensausgaben, Straßenambulanzen) die Folgen von Wohnungslosigkeit leider nur abmildern können, beendet dieser neue Ansatz Wohnungslosigkeit unmittelbar und schafft einen sicheren Raum, der neue Perspektiven möglich macht. Wohnraum wird hier zuerst und nicht zuletzt angeboten.

Besonders für wohnungslose Frauen ist das wichtig, die einem hohen Risiko ausgesetzt sind, Opfer von körperlicher und sexualisierter Gewalt zu werden; und auch für junge Menschen, die schon sehr früh den Anschluss verlieren und häufig nicht wiederfinden.

In NRW gibt es übrigens einen Housing first Fonds, der vom Land gefördert wurde; auch Bremen hat ein Programm zur Implementierung von Housing first aufgelegt. Wir können also vorhandene Erkenntnisse aus anderen Ländern für Niedersachsen nutzbar machen, um hier endlich mehr solcher Projekte gemeinsam mit sozialen Trägern umzusetzen. Wichtig wäre uns, dass auch die Wohnungslosen selber an der Projektentwicklung beteiligt werden, damit ihre Perspektive hilft, die Qualität zu verbessern. Es geht darum mit den Betroffenen als Expert*innen in eigener Sache zu reden, nicht über sie.

Die Landesregierung hatte übrigens noch Anfang 2020 ein Konzept zur Verbesserung der Situation wohnungsloser Menschen angekündigt. Gekommen ist davon seitdem eigentlich nichts. Ok, da ist eine Pandemie dazwischen gekommen, aber mehr als zwei Jahre erklärt das nicht.

Ich freue mich daher, dass der Landtag mit dem heutigen Beschluss der Landesregierung noch mal ein deutliches Signal gibt, hier voran zu gehen.

Weniger erfreulich, weil eigentlich absurd, ist die doppelte Antragslage. Einziger echter Unterschied: der grüne Antrag ist aus dem Jahr 2020, der Antrag von SPD/CDU von vor 4 Wochen; angenommen werden wird nur Letzterer. Schön, dass Sie unsere Vorschläge teilen, aber dann hätten Sie auch einfach unserem Antrag zustimmen können; dass Sie einen teilweise wortgleichen (siehe Antragstitel) eigenen Antrag einbringen und sich dann auch noch sperren, eine gemeinsame Initiative zu machen, ist höflich gesagt unkollegial und unparlamentarisch.

Leider haben wir durch diese komische Taktiererei gut ein Jahr und fast zwei Winter verloren, in denen wichtige Verbesserungen für Wohnungslose hätten erreicht werden können.

Uns geht es um die Sache, nicht um parteipolitische Profilierung, deshalb werden Ihrem Antrag zustimmen.

Zurück zum Pressearchiv