Antrag: Beratung und Unterstützung für Kinder und Familien in Niedersachsen verbessern und bündeln – Familienzentren absichern und flächendeckend anbieten

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Familienzentren sind Orte der Begegnung, Bildung und Beratung für Familien. Mit ihrem inklusiven und partizipativen Ansatz stehen sie allen Familien offen, die dort wohnortnah und niedrigschwellig vielfältige, familienunterstützende Angebote erhalten.

Der Begriff Familienzentrum ist kein definierter Fachterminus. In der Praxis findet sich deshalb eine große Heterogenität von Einrichtungen, die unter dieser oder ähnlichen Bezeichnungen (z.B. Eltern-Kind-Zentrum, KitaPlus, Familienstützpunkt) firmieren.

Viele Familienzentren in Niedersachsen sind mit einer Kindertageseinrichtung verbunden. In anderen Bundesländern wird außerdem die Anbindung an Grundschulen erprobt. Voraussetzung für die Bündelung von Angeboten für Kinder und Familien ist diese institutionelle Anbindung jedoch nicht.

Gleichwohl sind Kindertageseinrichtungen und Grundschulen als Orte, an dem junge Familien ohnehin zusammenkommen, grundsätzlich besonders gut geeignet, auch als Familienzentrum zu fungieren, In Niedersachsen haben sich in den vergangenen Jahren viele Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren weiterentwickelt. Indem sie Bildung und Betreuung mit verschiedenen Beratungs- und Unterstützungsangeboten für Kinder und Familien im Sinne des Early Excellence-Ansatzes verknüpfen, wirken sie als Knotenpunkte im Sozialraum für alle Anliegen, die Kinder und Familien betreffen. Als niedrigschwellige Anlaufstelle im Quartier erreichen sie insbesondere auch Kinder und Familien, die von Angeboten der Bildungs-, Gesundheits- und Teilhabeförderung besonders profitieren. Den hohen gesellschaftlichen, aber auch gesundheits- und bildungsökonomischen Nutzen von Familienzentren belegen mittlerweile zahlreiche Studien.[1]

In Niedersachsen gibt es – anders als in anderen Bundesländern – bisher keine Rechtsgrundlage für Familienzentren. Auf untergesetzlicher Ebene hingegen laufen bspw. die in der Durchführungsverordnung zum NKitaG definierten Mindestanforderungen an die räumliche Ausstattung der Arbeit von Familienzentren sogar zuwider: Angebote eines Familienzentrums dürfen demnach aus Gründen des Kinderschutzes während der Öffnungszeiten der Kindertagesstätte nur dann für Dritte zugänglich sein, wenn sie von der Kindertageseinrichtung getrennt sind und über einen separaten Eingang verfügen (vgl. Drs. 18/10095). Viele Familienzentren können diese baulichen Anforderungen nicht erfüllen und stehen somit – nach jahrelanger Pionierarbeit - vor dem Aus.

Familienzentren werden in Niedersachsen überwiegend kommunal und oftmals befristet finanziert. Ein flächendeckendes Angebot gibt es bisher nicht.

Vor diesem Hintergrund fordern wir die Landesregierung auf,

  1. Familienzentren als ressortübergreifende Aufgabe anzuerkennen, ein klares Bekenntnis zum flächendeckenden Ausbau von Familienzentren abzugeben und dafür innerhalb der Landesverwaltung geeignete ressortübergreifende Arbeits- und Organisationsstrukturen zu schaffen,
  2. eine geeignete landesrechtliche Grundlage für Familienzentren zu schaffen, die der Vielfalt der Einrichtungen gerecht wird,
  3. die Bestimmungen zu den Mindestanaforderungen an die räumliche Ausstattung in der Durchführungsverordnung zum NKitaG kurzfristig so zu verändern, dass dem Kinderschutz und der sozialräumlich orientierten Arbeit von Familienzentren gleichermaßen Rechnung getragen wird,
  4. Qualitätsstandardstandards für Familienzentren zu entwickeln,
  5. in Zusammenarbeit mit den relevanten Akteur*innen ein Konzept für die sukzessive Weiterentwicklung von Kindertagesstätten und Grundschulen zu Familienzentren, sowie für den Auf- und Ausbau weiterer sozialräumlich orientierter Familienzentren zu erarbeiten mit dem Ziel, perspektivisch ein flächendeckendes Angebot in Niedersachsen vorzuhalten,
  6. die Kommunen bei der Einrichtung und dem Ausbau von Familienzentren sowie der Verankerung der Zentren in kommunalen Strategien fachlich und finanziell zu unterstützen,
  7. ein Landesprogramm zur Weiterentwicklung von Kindertagesstätten und Grundschulen zu Familienzentren aufzulegen und dabei auch alternative Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb des Landeshaushaltes zu prüfen (z.B. Stiftungen),
  8. die Einrichtung neuer Familienzentren fachlich durch eine qualifizierte Prozessbegleitung und wissenschaftlich begleiten zu lassen, z.B. durch das Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe).

Begründung

Der heutige Ministerpräsident Weil hat im Jahr 2006 in seiner Funktion als Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover das Programm der Familienzentren mitentwickelt und mit einem Ratsbeschluss umgesetzt. Das Programm wurde mittlerweile von vielen niedersächsischen Großstädten und vielen Gemeinden adaptiert. Bei rund 5.500 Kindertagesstätten und 215 Familienzentren kann jedoch bei Weitem noch nicht von einem flächendeckenden Angebot gesprochen werden. Dabei ist der Nutzen insbesondere im Hinblick auf die Förderung von Teilhabechancen für Kinder und Familien wissenschaftlich längst belegt.[2] Auch das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) spricht sich in seinem neunten Familienbericht ausdrücklich dafür aus, bisher fragmentierte und getrennt voneinander existierende Angebotsstrukturen Familienzentren als kommunale Knotenpunkte für Familiendienstleistungen zu etablieren und zu stärken.[3]

Anders als in anderen Bundesländern (z.B. Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg) gibt es in Niedersachsen bisher keine Rechtsgrundlage für Familienzentren, die Anforderungen an Einrichtung und Betrieb regelt. Auch einheitliche Qualitätsstandards sowie Fördermöglichkeiten durch das Land Niedersachsen fehlen bisher. Einrichtung und Finanzierung von Familienzentren passieren mithin weitgehend auf Initiative einzelner Kommunen. Um Familienzentren flächendeckend in Niedersachsen anzubieten, sind somit Steuerung und Förderung durch das Land erforderlich.

In einem Schreiben vom 29.06.2021 teilt das Kultusministerium dem Leibniz Familienzentrum in Hannover mit, dass „Angebote eines Familienzentrums (…) während der Öffnungszeiten der Kindertageseinrichtung in Räumlichkeiten erfolgen müssen, die gemäß § 1 der 1. DVO-KiTaG nicht zur räumlichen Mindestausstattung gehören und von der Kindertageseinrichtung getrennt und mit eigenem Eingang zu erreichen sind.“

Diese Einschätzung auf Grundlage der rechtlichen Regelungen im NKiTaG deckt sich u. a. nach der Definition von Familienzentren der niedersächsischen Expert*innenrunde Familienzentren des nifbe aus dem Jahr 2014 nicht mit der Arbeitsweise der selbigen. Demnach sollen beispielsweise Eltern in die Bildungsprozesse aktiv einbezogen werden und zugleich Beratungsangebote wahrnehmen können.

Im Schreiben des Kultusministeriums vom 29.06.2021 wird ebenfalls formuliert, dass sich Familienzentren in besonderer Weise anbieten, um mit Angeboten der frühkindlichen Bildung auch solche Familien zu erreichen, deren Kinder noch nicht in der Kindertageseinrichtung gefördert werden. Diese Doppelnutzung wie auch die Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen und Familienzentren werden seitens des Kultusministeriums insgesamt und insbesondere zur Belebung und Vernetzung des Sozialraums positiv gesehen.

Das entspricht auch dem Verständnis der Arbeit von Familienzentren im Rahmen der Definition des nifbe. Wenn diese Angebote allerdings nicht innerhalb der Betreuungszeiten der Kindertageseinrichtungen stattfinden dürfen, müssen sie zu Zeiten stattfinden, zu denen viele Personengruppen die Angebote oftmals gar nicht nutzen können und auch das Personal der Einrichtungen häufig nicht zur Verfügung steht. Damit können Familienzentren ihr Potenzial und ihre Wirkkraft nur sehr eingeschränkt entfalten. Ziel muss es daher sein, die berechtigten Belange des Kinderschutzes in Einklang zu bringen mit der sozialräumlich orientierten Arbeit von Familienzentren. Das setzt eine entsprechende Anpassung der Durchführungsverordnung zum NKitaG voraus.

[1] vgl. z.B. Schmitz, S. & Spieß, K. (2019): Familien im Zentrum. Unterschiedliche Perspektiven auf neue Ansatzpunkte der Kinder-, Eltern- und Familienförderung. Herausgegeben von der Heinz und Heide Dürr Stiftung. Berlin.

[2] vgl. z.B. Kobelt Neuhaus, D. (2016): Ein Familienzentrum leiten. In: Kindergarten heute. Management kompakt. Themenheft zu Methoden und Organisation. Verlag Herder. Freiburg im Breisgau.

[3] vgl. Neunter Familienbericht des BMFSFJ

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