Antrag: Ersatzfreiheitsstrafe gerechter gestalten, Kosten reduzieren, Resozialisierung fördern!

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90 Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Die Zahl der vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen befindet sich seit Jahren auf einem hohen Niveau. Nachdem es während der Corona-Pandemie infolge von Strafaussetzungen eine Entspannung bei den Ersatzfreiheitsstrafen gegeben hat, sind die vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen wieder angestiegen.

Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe erbringt nur selten einen sinnvollen Beitrag zur Resozialisierung und zur Spezialprävention. Dagegen besteht die Gefahr, dass Personen durch die kurze Inhaftierungsdauer aus ihrem sozialen und ökonomischen Umfeld herausgerissen werden. Dies wirkt sich nachteilig auf deren Resozialisierung aus. Die Ersatzfreiheitsstrafe trifft ganz überwiegend wirtschaftlich schlecht gestellte Menschen, die oft in prekären Verhältnissen leben, denn Menschen in besseren wirtschaftlichen Verhältnissen werden in der Regel alles unternehmen, um die Geldstrafe zu bezahlen und so den Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe zu vermeiden.

Trotz der erfolgreichen Arbeit der Anlaufstellen für Straffällige im Rahmen der „Geldverwaltung statt Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe“ und weiterer Angebote wie „Schwitzen statt Sitzen“ und der aufsuchenden Tätigkeit des Ambulanten Justizsozialdienstes (AJSD) sind die Zahlen der vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen in Niedersachsen in den letzten Jahren nicht signifikant gesunken. Menschen in multiplen Problemstrukturen werden noch zu selten von den bestehenden Angeboten zur Vermeidung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe erreicht.

Daher sollen die Anstrengungen zur Vermeidung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe intensiviert werden.

Die regierungstragenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben daher im Koalitionsvertrag vereinbart, dass die bestehenden Angebote zur Haftvermeidung ausgebaut und besser miteinander verzahnt werden sollen. Im Regelfall soll niemand ohne den Versuch eines vorherigen persönlichen Gesprächs zum Haftantritt geladen werden.

Der Landtag begrüßt die seit mehr als 30 Jahren geleistete, wichtige und wertvolle Resozialisierungsarbeit der Anlaufstellen der freien Straffälligenhilfe, die Angebote des AJSD zur Vermeidung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen wie die Geldverwaltung, das etablierte und erfolgreiche Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ und die engagierte Arbeit der Justizvollzugsanstalten mit den betroffenen Inhaftierten.

Der Bundestag hat auf Initiative der Bundesregierung am 22.06.2023 beschlossen, den Umrechnungsmaßstab von Geld- in Ersatzfreiheitsstrafen zu halbieren. Dies wird ebenfalls ausdrücklich begrüßt.

Der Landtag bittet die Landesregierung,

  1. entsprechend des Beschlusses der 93. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 1. bis 2. Juni 2022 die Empfehlungen des Abschlussberichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Prüfung alternativer Sanktionsmöglichkeiten – Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen gemäß § 43 StGB“ zu prüfen und geeignete Empfehlungen umzusetzen und insbesondere zu prüfen,
    1. wie das neue Bundesrecht hinsichtlich der Information Betroffener auch bei Geldstrafen im gesamten Vollstreckungsverfahren über die Zahlungspflicht und Möglichkeiten der Stundung, Ratenzahlung und Haftvermeidung in einer ihnen verständlichen Sprache, auch in einfacher Sprache oder durch persönliches Aufsuchen, zweckmäßig umgesetzt werden kann,
    2. ob und wie sogenannte „Day-by-Day“-Projekte zur Ableistung von freier Arbeit noch während der Vollstreckung der Ersatzfreiheitstrafe ausgebaut werden können,
    3. wie für Personen, die erstmalig eine Ersatzfreiheitsstrafe auferlegt bekommen, ein besonderes Beratungsangebot gemacht werden kann;
  2. die Einführung einer verpflichtenden konkreten Prüfung der Einkommensverhältnisse einer Person, für die eine Geldstrafe durch die Staatsanwaltschaft beantragt wird, zu prüfen;
  3. ergänzend zu den auf Bundesebene im Sommer 2023 beschlossenen Änderungen am Schlüssel zur Abwendung eines Tages Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit eine weitere Reduktion des Stundensatzes nach beanstandungsloser Ableistung der ersten Hälfte der Tagessätze nach dem Vorbild Hessens einzuführen;
  4. zu prüfen, ob für geeignete Fälle nach dem Vorbild Brandenburgs und unter Einbeziehung der Anlaufstellen für Straffällige ein Angebot für berufliche Qualifikation und Training für Personen, die an Haftvermeidungsprogrammen teilnehmen, eingeführt werden kann;
  5. wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftierte Personen zukünftig nicht mehr pauschal von der sogenannten Weihnachtsgnade auszunehmen;
  6. die Weiterentwicklung spezieller Beratungs- und Hilfsangebote zu prüfen, insbesondere
    1. die Etablierung einer Beratung zu den möglichen Konsequenzen der Feststellung der Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe und der dann bestehenden Möglichkeit der Vermeidung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch die Ableistung gemeinnütziger Arbeit unter Einbeziehung des Know-Hows der Anlaufstellen und des Ambulanten Justizsozialdienstes (AJSD) zu prüfen,
    2. die Berücksichtigung der besonderen Situation und Bedürfnisse von einer Ersatzfreiheitsstrafe Inhaftierten in Bezug auf Aufnahme, Vollzugsplanung und Entlassungsvorbereitung,
  7. gezielter und verstärkt für die Bereitstellung von Beschäftigungsstellen zur Ableistung gemeinnütziger Arbeit zu werben und bei der Bereitstellung dieser Stellen zu unterstützen;
  8. die Anlaufstellen für Straffälligenhilfe in Niedersachsen und den Ambulanten Justizsozialdienst (AJSD) an der inhaltlichen Ausgestaltung der vorgenannten Maßnahmen zu beteiligen und bei ihrer Arbeit verstärkt zu unterstützen;
  9. auf der Bundesebene sich dafür einzusetzen, dass eine Regelung ins Strafgesetzbuch aufgenommen wird, wonach die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe unter Auflagen oder Weisungen zur Bewährung ausgesetzt werden kann, wobei insbesondere Bewährungsauflagen oder -weisungen vorzusehen sind, die den Verurteilten Hilfestellungen geben, seine Finanzen zu ordnen und ein seinen wirtschaftlichen Verhältnissen angemessenes und straffreies Leben zu führen.

Begründung

Etwa 40 Prozent der Haftantritte in den vergangenen Jahren in Niedersachsen waren durch eine Ersatzfreiheitsstrafe bedingt. Problematisch ist insoweit, dass die betroffenen Personen lediglich zu einer Geldstrafe und gerade nicht zu einer Freiheitsstrafe, die einen schwereren Grundrechtseingriff darstellt, verurteilt wurden. Von der Ersatzfreiheitsstrafe sind überdurchschnittlich viele wirtschaftlich schlecht gestellte Menschen, die oft in prekären Verhältnissen leben und Menschen in multiplen Problemlagen – etwa aus Obdachlosigkeit, Armut, Drogenabhängigkeit und Verschuldung – betroffen. Der Bundesgerichtshof sprach bereits 1978 von einer „grundsätzlich härtere(n) Behandlung auch des unverschuldet zahlungsunfähigen Verurteilten“ (BGHSt 27, 93).

Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe verursacht erhebliche jährliche Kosten im zweistelligen Millionenbereich für das Land Niedersachsen und damit für die Allgemeinheit. Dieses Geld sollte besser für die Bekämpfung der Ursachen wie etwa Drogenabhängigkeit und Obdachlosigkeit verwendet werden. Andere Bundesländer, etwa Berlin und Hamburg, bieten sogenannte „Day-by-Day“-Projekte an, bei denen es wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe Inhaftierten möglich ist, während ihrer Inhaftierung nicht nur die Strafe abzusitzen, sondern zusätzlich parallel abzuarbeiten. Diese Länder haben erhebliche Einsparungen bei den Haftkosten erreichen können. Insbesondere werden weibliche Personen, die wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert wurden, gut erreicht. Ein Verweis auf die generelle Arbeitspflicht im Gefängnis und die Möglichkeit, aus der Haft zur Ableistung von „freier Arbeit“ entlassen zu werden, sind keine durchgreifenden Gründe, ein solches Projekt nicht auch in Niedersachsen einzuführen. Auch in Bundesländern wie Berlin und Hamburg besteht eine Arbeitspflicht für Gefangene. Bei der Einführung sollte die Einsatzmöglichkeit sowohl in den Justizvollzugsanstalten als auch außerhalb der Justizvollzugsanstalten geprüft werden.

Bei vielen Personen, die von einer Ersatzfreiheitsstrafe in Folge einer per Strafbefehl erlassenen Geldstrafe betroffen sind, wird eine Schätzung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 42 Abs. 3 StGB vorgenommen. Wird der Einspruch versäumt und ein Strafbefehl rechtskräftig, was bei Personen mit multiplen Problemstrukturen aus verschiedenen Gründen regelmäßig vorkommt, ist eine gerichtliche Abänderung im Nachhinein nicht mehr möglich. So sehen sich viele betroffene Personen mit zu hoch angesetzten Tagessätzen konfrontiert. Dies könnte durch eine Ermittlung der tatsächlichen Einkommensverhältnisse verhindert werden.

Hessen regelt in § 5 Abs. 1 S. 2 der Verordnung über die Tilgung von Geldstrafen durch freie Arbeit vom 24. Januar 1997, dass die Vollstreckungsbehörde bei einwandfreier Ableistung der ersten Hälfte der Tagessätze für die zweite Hälfte die Anzahl der Stunden zur Tilgung eines Tagessatzes halbieren kann. Dieses Instrument kann gerade bei einer hohen Zahl von abzuarbeitenden Tagessätzen – z.B. wegen der Ansammlung mehrerer kleinerer Geldstrafen – einen Anreiz dafür bieten, die Teilnahme an freier Arbeit nicht abzubrechen. Angesichts dessen, dass in Niedersachsen in den Jahren 2019 und 2021 die längsten verbüßten Ersatzfreiheitsstrafen bei der erheblichen Länge von 559 bzw. 500 Tagen lagen, stellt sich dieses Problem umso mehr.

In Brandenburg wird Personen, die an Haftvermeidungsmaßnahmen teilnehmen, im Rahmen des Projekts „Haftvermeidung durch soziale Integration“ erfolgreich angeboten, durch berufliche Qualifikations- und Trainingsmaßnahmen ihre beruflichen Vermittlungschancen zu erhöhen. Angesichts eines hohen Anteils von Personen ohne oder mit lediglich geringer Ausbildung und beruflicher Qualifikation an den von Ersatzfreiheitsstrafen Betroffenen (Studien gehen von mehr als 70 Prozent aus) kann ein derartiges Angebot für einen Teil der Betroffenen einen Weg aus dem Kreislauf aus Armut und Kriminalität bieten. Zudem würde dieses Angebot die Attraktivität von „Schwitzen statt Sitzen“ erhöhen.

Inhaftierte, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, werden bisher auch nicht bei der jährlichen „Weihnachtsgnade“ berücksichtigt. Andere Bundesländer beziehen entsprechend wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe Inhaftierte in die Weihnachtsgnade mit ein.

Zahlreiche Einrichtungen unterschiedlicher Träger stehen seit Jahren als Einsatzstellen für gemeinnützige Arbeit zur Verfügung. Aber die Anlaufstellen für Straffälligenhilfe beklagen einen Mangel an solchen Einsatzstellen und weisen auf das noch zu bergende Potenzial der gemeinnützigen Arbeit hin.

Es erscheint erforderlich, dass neben bestehenden Maßnahmen und Instrumenten eine Regelung im Strafgesetzbuch geschaffen wird, wonach die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe unter Auflagen oder Weisungen zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Zu denken ist dabei an Bewährungsauflagen oder -weisungen, die den Verurteilten Hilfestellungen geben, seine Finanzen zu ordnen und ein seinen wirtschaftlichen Verhältnissen angemessenes und straffreies Leben zu führen. Eine Strafaussetzung der Ersatzfreiheitsstrafe zur Bewährung würde auch nicht dazu führen, dass die Geldstrafe als Reaktion auf ein strafbares Verhalten des Täters seine Wirkung verlöre. Insofern kann zunächst auf die Regelungen zur Freiheitsstrafe verwiesen werden, bei der - soweit ersichtlich - nicht angezweifelt wird, dass sie trotz der Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung ihren Strafzweck erfüllt. Weiter soll eine Strafaussetzung der Ersatzfreiheitsstrafe zur Bewährung an durchaus strenge Voraussetzungen geknüpft werden, die verhindern, dass die Regelung von Straftätern missbraucht werden.

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