Volker Bajus: Rede zur Verfassungsänderung zur Ergänzung des Europabezugs und zur Stärkung des Schutzes vor Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens
TOP 27 - Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Europabezugs und zur Stärkung des Schutzes vor Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens in der Niedersächsischen Verfassung – Fraktionen der SPD, der CDU und von Bündnis 90/Die Grünen
- es gilt das gesprochene Wort -
Vor 80 Jahren wurde Europa durch die Alliierten befreit. Nazi-Deutschland war besiegt. Unsere geplante Verfassungsänderung folgt dem Versprechen „Nie wieder!“. Wir verankern zwei zentrale Prinzipien in der Verfassung, damit dieses Versprechen nicht in Vergessenheit gerät:
Deutschland Mitgliedschaft in der Europäischen Union wird zum Staatsgrundsatz und der Schutz jüdischen Lebens sowie der Kampf gegen Antisemitismus zu einem Staatsziel.
Beides ist historisch geboten und leider auch politisch hochaktuell.
Die Europäische Union ist die erfolgreiche Antwort auf zwei verheerende Weltkriege, die von Deutschland aus-gingen. Sie bleibt bis heute ein Friedensprojekt von unschätzbarem Wert Sie garantiert die Ordnung Europas, nachhaltigen Wohlstand und soziale Stabilität.
Nur fünf Jahre nach Kriegsende – vor genau 75 Jahren, als große Teile Europas noch zerstört waren – skizzierte der französische Außenminister Robert Schuman den Weg zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft: „Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen.“
Dieses große, ja großartige Friedensprojekt ist heute bedroht – von außen durch autoritäre Regime wie Putins Russland, von innen durch den erstarkenden Nationalismus wie in Ungarn und durch rechtsextreme Kräfte wie die AfD. AfD-Leute verbreiten Putins Propaganda, spionieren für China und lassen sich von Trump instrumentalisieren. Sie müssen sich fragen lassen: Wie sehr Sie von der AfD eigentlich unser Land uns seine Menschen verachten, wenn Sie ihnen derart schaden wollen?
Unser Bekenntnis zur EU ist ein bewusstes, verfassungs-rechtliches Signal: Niedersachsen steht zu Europa – zu Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und gemeinsamer Verantwortung über alle Grenzen hinweg.
Dieses Bekenntnis zur Unteilbarkeit der Menschenwürde führt uns direkt zur Verpflichtung, jüdisches Leben zu schützen und Antisemitismus zu bekämpfen. Vor 80 Jahren wurden die Überlebenden aus der Hölle der deutschen Vernichtungslager befreit. Das Gedenken an die Shoah ist seither Auftrag jeder demokratischen Politik in diesem Land. Heute gibt es wieder aktives jüdisches Leben in Niedersachsen – starke Gemeinden, zahlreiche Beiträge zum geistigen und sozialen Leben, zu Kunst und Kultur. Jüdisches Leben in Niedersachsen ist, angesichts unserer Geschichte, ein glückliches Geschenk – dafür sind wir jeden Tag aufs Neue dankbar.
Aber ausgerechnet jetzt, wo die letzten Zeitzeugen der Shoah sterben, erleben wir: Kinder wagen es nicht mehr, sich in der Schule zu ihrem jüdischen Glauben zu bekennen. Menschen verstecken aus Angst die Kippa. Jüdische Einrichtungen stehen unter ständigem Polizeischutz. Das alles ist unerträglich. Daran dürfen wir uns niemals gewöhnen.
Der Gegner heißt: Antisemitismus. der war nie richtig weg. „Der Schoß ist fruchtbar noch…“. Die Zahl rechtsextremer Straftaten hat sich in den letzten vier Jahren fast verdoppelt Verschwörungstheorien, völkische Ideologien und antisemitische Narrative werden wieder ungeniert verbreitet – und auch die AfD Niedersachsen mischt dabei kräftig mit.
Antisemitismus gibt es auch in der politischen Mitte: unter Konservativen, Linken – ja, auch unter Christ*innen. Allein 2024 nahm die Zahl antisemitischer Straftaten um 25% zu. Das ist besorgniserregend. Eine Ursache ist der eskalierende Gaza-Konflikt. Und ja, Kritik an der israelischen Regierung kann, wie im Fall der Blockade von Hilfslieferungen, legitim – ich finde: notwendig – sein.
Aber:
- Nichts rechtfertigt Angriffe auf jüdische Menschen.
- Nichts rechtfertigt doppelte Standards in der Bewertung israelischer Politik.
- Nichts rechtfertigt israelbezogenen Antisemitismus.
Aber auch umgekehrt gilt:
Antisemitismus bekämpft man nicht mit Rassismus. Wer im Kampf gegen Judenhass pauschal Muslime unter Generalverdacht stellt, gießt nur weiter Öl ins Feuer. Die meisten Muslim*innen in Deutschland sind nicht antisemitisch. Und je länger sie hier leben, desto mehr schwinden tradierte antisemitische Einstellungen.
Wir brauchen Verbündete im Kampf gegen den Hass – keine neuen Feindbilder.
Mit dieser Verfassungsänderung setzen wir ein klares Zeichen für Europa und den Schutz jüdischen Lebens. Angesichts unserer Vergangenheit und der Zunahme der Angriffe auf weitere Minderheiten sehen wir Grüne den Gesetzentwurf heute nur als ersten Schritt.
Was spricht eigentlich dagegen, auch den Schutz vor anderen Formen der Menschenfeindlichkeit verfassungsrechtlich zu stärken, Antiziganismus, Rassismus oder Queerfeindlichkeit zu ächten?
Das wäre konsequent und geboten, denn die Würde aller Menschen ist unteilbar!