Kleine Anfrage:Wie wird Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter in Niedersachsen geholfen?Wie wird Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter in Niedersachsen geholfen?

Anfrage der Abgeordneten Imke Byl, Eva Viehoff, Meta Janssen-Kucz und Volker Bajus (GRÜNE) an die Landesregierung, eingegangen am 21.08.2020

Anfrage der Abgeordneten Imke Byl, Eva Viehoff, Meta Janssen-Kucz und Volker Bajus (GRÜNE) an die Landesregierung, eingegangen am 21.08.2020

Auch mit der aktuellen niedersächsischen Verordnung zur Neuordnung der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 31. Juli 2020, in Kraft getreten am 1. August 2020, bleibt das Betriebs- und Veranstaltungsverbot für Prostitutionsstätten, Bordelle und ähnliche Einrichtungen sowie die Straßenprostitution bestehen. Sexarbeit ist durch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 29. Mai 2020 jedoch wieder er-laubt, wenn sie per „Haus- oder Hotelbesuch“ dargeboten wird. Damit ist auch der Escortservice (Prostitutionsvermittlung) erlaubt.

Die aktuell geltende Verordnung führt dazu, dass sämtliche als Prostitutionsstätten definierten Gewerbeeinrichtungen weiterhin geschlossen bleiben müssen, auch wenn sexuelle Dienstleistungen nur einen kleinen Teil des Angebots ausmachen und die Gewerbetreibenden bereit sind, auf diese während der Corona-Maßnahmen zu verzichten.

Als sexuelle Dienstleistung werden sehr unterschiedliche Tätigkeiten bezeichnet, die mit unterschiedlich viel Körperkontakt einhergehen oder gerade im BDSM-Bereich sogar völlig ohne Körperkontakt stattfinden. Fachverbände haben bereits Hygienekonzepte vorgelegt, wie ihrer Vorstellung nach sexuelle Dienstleistungen und die COVID-19-Prävention miteinander vereinbar sind. In vielen Nachbarländern sind die Bordelle bereits wieder geöffnet, wie beispielsweise in Österreich und den Niederlanden seit dem 1. Juli oder der Schweiz seit dem 6. Juni. In Hamburg wird eine Wiedereröffnung der Prostitutionsstätten zum 1. September 2020 hin diskutiert, in Absprache mit den Nachbarländern. In Berlin sind seit dem 8. August bestimmte sexuelle Dienstleistungen ohne Geschlechtsverkehr wieder erlaubt. Ab dem 1. September sollen auch sexuelle Dienstleistungen inklusive Geschlechtsverkehr unter Auflagen erlaubt werden.

Unter anderem die Deutsche Aidshilfe fordert, Sexarbeit wieder zuzulassen und die Bordelle bzw. Prostitutionsstätten wieder öffnen zu lassen, um Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter zu schützen und mit anderen körpernahen Branchen gleich zu behandeln sowie illegale Strukturen zu verhindern. Die Befürchtung besteht, dass Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter durch ein undifferenziertes und anhaltendes Verbot und die Schließung der Prostitutionsstätten in die Illegalität gedrängt und damit gefährdet werden. Gerade bei Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern, die kaum oder keine finanziellen Rücklagen besitzen, ist die wirtschaftliche Not groß. Die Corona-Pandemie trifft damit eine Berufsgruppe besonders hart, die gesellschaftlich oft stigmatisiert ist und in der auch viele Frauen arbeiten, die wenig Kontakte außerhalb ihrer Tätigkeit haben. Vielen Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern ist die Existenzgrundlage weggebrochen. Sie sind akut von Wohnungslosigkeit und Armut bedroht. Legale, kontrollierbare Strukturen drohen zugunsten von illegalen Strukturen und prekärer Sexarbeit verdrängt zu werden. Die finanzielle Notsituation schwächt hierbei die Position der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter und bringt sie in eine prekäre Lage, in der sie je nach Nachfrage u. a. auf Safer Sex und Schutzmaßnahmen verzichten könnten oder stärker von sexualisierter Gewalt be-droht sind.Über die Ausübung von Sexarbeit in legalen Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen können Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter mithilfe eines sicheren Arbeitsumfeldes und durch den Kontakt zu anderen Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern besser geschützt werden. Auch die Kontrolle von Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen erscheint in Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen sowie bei legaler Sexarbeit realistischer. Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter selbst haben ein großes Interesse daran, bei ihrer Arbeit gesund zu bleiben und sich weder mit SARS-CoV-2 noch mit sexuell übertragbaren Krankheiten zu infizieren. Prostitutionsstätten, Bordelle und ähnliche Einrichtungen mussten auch bereits vor der Corona-Pandemie passgenaue Hygienekonzepte und -maßnahmen nachweisen. Insbesondere die Sexarbeitsbranche und Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sind in Schutzmaßnahmen vor übertragbaren Infektionen geübt und daran gewöhnt. Eine Kontrolle und Nachvollziehbarkeit des Schutzes der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter und Kundinnen und Kunden vor einer Übertragung von COVID-19 oder anderen übertragbaren Krankheiten sind bei einer Verdrängung in die illegale Sexarbeit logischerweise nicht möglich.

Die Deutsche Aidshilfe, der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen sowie der Berufsverband Sexuelle Dienstleistungen, das Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, der Deutsche Juristinnenbund, die Diakonie Deutschland und viele weitere Verbände fordern in einem Appell u. a. einen unbürokratischen Soforthilfefonds zur Absicherung des Lebensunterhalts, sichere Unterkünfte sowie Zugang zu medizinischer Versorgung für Menschen ohne Krankenversicherung. Der Zugang zu bisherigen Soforthilfeprogrammen oder Sozialleistungen sei für viele Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter aus steuer-, melde- oder aufenthaltsrechtlichen Gründen erschwert oder verstellt8. Sowohl in Baden-Württemberg als auch in Rheinland-Pfalz sind Nothilfefonds für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter aufgelegt worden. Die Bremer Gesundheitsbehörde fordert ein bundesweites Hilfspaket für die Branche.

Währenddessen werden Stimmen laut, die ein generelles und Pandemieverlauf-unabhängiges Sexkaufverbot fordern. Laut einem Artikel des Weser-Kuriers hält Justizministerin Barbara Havliza die Forderung nach einem Sexkaufverbot über Corona hinaus für nicht durchsetzbar.

1. Teilt die Landesregierung die Einschätzung der Justizministerin Havliza, dass ein Sexkaufverbot über Corona hinaus nicht durchsetzbar ist?

2. Hält die Landesregierung ein Sexkaufverbot über Corona hinaus für sinnvoll (bitte jeweils mit Begründung)?

3. Setzt sich die Landesregierung für die baldige mindestens teilweise Wiederöffnung von Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen sowie der Straßenprostitution ein und, wenn ja, wie?

4. Gibt es Gespräche auf Bundesebene für ein bundesweit abgestimmtes Öffnungskonzept, und wenn ja, wie weit sind diese vorgedrungen?

5. Setzt sich die Landesregierung auf Bundesebene für eine schrittweise Wiederöffnung von Prostitutionsstätten, Straßenprostitution und generell Sexarbeit ein und, wenn ja, wie?

6. Unterstützt die Landesregierung die Pläne Hamburgs, Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen ab dem 1. September 2020 die Wiedereröffnung zu erlauben, und plant die Landesregierung, sich diesem Vorhaben anzuschließen?

7. Wenn nein, für wann plant die Landesregierung aktuell, die Wiedereröffnung von Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen sowie der Straßenprostitution zu erlauben?

8. Plant die Landesregierung einen Kriterienkatalog, Stufenplan oder ähnliches zur stufenweisen Öffnung von Sexarbeit, mit dem sie den vielfältigen sexuellen Dienstleistungen und ihrer körperfernen oder körpernahen Ausführung differenziert Rechnung trägt?

9. Wie bewertet die Landesregierung im Einzelnen die von den Fachverbänden vorgelegten Hygienekonzepte?

10. Plant die Landesregierung, Möglichkeiten zu schaffen, dass Gewerbe, deren Angebot nur teilweise aus als sexuell definierten Dienstleistungen besteht, ihr Gewerbe wieder öffnen können, wenn diese auf die Ausübung der sexuellen Dienstleistungen verzichten?

11. Wie viele Zuwiderhandlungen gegen das Betriebsverbot von Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen wurden in Niedersachsen seit Bestehen des Verbots gemeldet (bitte mit Angabe des jeweiligen Landkreises / der kreisfreien Stadt und dem jeweils gegebe-nenfalls erteilten Bußgeld)?

12. Wie viele Zuwiderhandlungen gegen das Verbot der Straßenprostitution wurden in Nieder-sachsen seit Bestehen des Verbots gemeldet (bitte mit Angabe des jeweiligen Landkreises / der jeweiligen kreisfreien Stadt und des jeweils gegebenenfalls erteilten Bußgeldes)?

13. Wie schützt die Landesregierung die bisher in der Sexarbeit tätigen Menschen davor, durch die Arbeitsbeschränkungen und damit entstehende prekäre Situationen in Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse gedrängt zu werden?

14. Wie will die Landesregierung verhindern, dass durch die nun bereits seit Monaten bestehenden Arbeitsbeschränkungen legale Sexarbeitsstrukturen zugunsten von illegalen verdrängt werden und damit in der Sexarbeit Tätige besonders gefährdet werden?

15. Wie will die Landesregierung verhindern, dass gerade die kleineren Wohnungsbordelle mit vergleichsweise guten Arbeitsbedingungen durch die aktuelle Situation zu Mietwohnungen umgewandelt werden und damit sichere Arbeitsorte für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter verloren gehen?

16. Plant die Landesregierung, zur Unterstützung von Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter einen unbürokratischen Hilfsfonds einzurichten, und wenn ja, wie soll dieser Hilfsfonds genau aussehen und ab wann eingesetzt sein? Wenn nein, bitte mit Begründung.

17. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, damit Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter durch die aktuelle Situation nicht wohnungslos werden?

 

Alle Informationen und die Antwort der Landesregierung (sofern verfügbar) gibt es hier.

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